Was ist das Pflichtteilsrecht? Welche pflichtteilsberechtigten Personen sind zu berücksichtigen?

Stellen Sie sich vor: Ein/e Familienangehörige/r verstirbt, und im Nachlass findet sich ein Testament. Darin wird festgelegt, dass das gesamte Vermögen einer gemeinnützigen Organisation zukommen soll. Die Familie findet in der letztwilligen Verfügung keine Berücksichtigung. Ist das Testament rechtlich haltbar?
Nein – so die Antwort des Gesetzgebers. In Österreich gibt es das sogenannte Pflichtteilsrecht. Es schützt nahe Angehörige vor dem vollständigen Ausschluss vom Erbe. In diesem Beitrag erfahren Sie alles Wichtige zum Pflichtteilsrecht in Österreich.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Der/die Erblasser:in kann nicht vollständig frei über sein Vermögen verfügen. Manche Personen haben einen Anspruch auf einen gesetzlichen Pflichtteil.
  • Abstrakt pflichtteilsberechtigt sind die Nachkommen und der/die Ehepartner:in bzw eingetragene Partner:in. Die Eltern sind nicht mehr pflichtteilsberechtigt.
  • Ein konkreter Pflichtteilsanspruch besteht nur, wenn die Person bei gesetzlicher Erbfolge – also ohne Testament – etwas erhalten hätte.
  • Die Höhe des Pflichtteils beträgt die Hälfte der gesetzlichen Erbquote.
  • Pflichtteilsberechtigte haben eine bloße Geldforderung gegen die Erben.
  • Die Entziehung des Pflichtteils nennt man Enterbung. Eine Enterbung kommt nur unter besonderen Umständen in Betracht. Daneben gibt es auch die Pflichtteilsminderung.
  • Es ist möglich, auf den gesetzlichen Pflichtteil zu verzichten. Hier wird zwischen Erbverzicht und Pflichtteilsverzicht unterschieden.

Was ist der gesetzliche Pflichtteil überhaupt?

Der Pflichtteil ist ein gesetzlich geschützter Anteil am Erbe, der bestimmten nahen Angehörigen zusteht. Diese Personen haben einen Anspruch auf eine bestimmte Geldsumme, auch wenn sie im Testament nicht oder nur geringfügig bedacht wurden.
Das bedeutet: Wer pflichtteilsberechtigte Angehörige hat, kann nicht völlig frei über seinen Nachlass verfügen. Ein Testament darf Wünsche und Vorstellungen festhalten – gewisse gesetzliche Grenzen dürfen dabei jedoch nicht überschritten werden.

Warum gibt es das Pflichtteilsrecht?

Das Pflichtteilsrecht ist keineswegs ein neues Phänomen. Bereits im antiken Rom wurden nahe Verwandten vor dem vollständigen Ausschluss vom Erbe geschützt. Anliegen des Pflichtteilsrechts war von Anfang an die Versorgung der Familie. Seit Jahrtausenden prägt eine bestimmte Vorstellung das Erbrecht. Der oder die Erblasser:in gilt als Teil eines Familienverbandes. Diesem schulde er/sie auch über den Tod hinaus eine gewisse wirtschaftliche Absicherung. Diese Idee ist zentral für die rechtliche Ausgestaltung des Erbrechts. So wurde auch in Österreich das Pflichtteilsrecht im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) verankert – mit dem Ziel, die engsten Angehörigen vor willkürlicher Übergehung zu schützen.

Wer hat einen Anspruch auf den gesetzlichen Pflichtteil?

Pflichtteilsberechtigt sind die Nachkommen des/der Verstorbenen sowie der/die Ehepartner:in bzw eingetragene Partner:in. Dies ist in § 757 ABGB geregelt. Die Eltern gehören seit 2017 nicht mehr zum Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen.

Beispiel: Die Erblasserin hinterlässt zwei Kinder, die sie in ihrem Testament nicht berücksichtigt. Die Kinder haben einen Anspruch auf den gesetzlichen Pflichtteil. War die Erblasserin verheiratet, ist auch der Ehemann pflichtteilsberechtigt. Ihre Geschwister und ihre eigenen Eltern sind nicht pflichtteilsberechtigt.

Personen, denen ein solcher Anspruch abstrakt zusteht, sind aber nur dann konkret pflichtteilsberechtigt, wenn sie ohne Testament tatsächlich etwas erhalten hätten. Ohne Testament kommt es nämlich zur gesetzlichen Erbfolge. So gehören die Enkelkinder zwar auch zu den Nachkommen. Ohne Testament würden sie aber nur dann etwas erben, wenn ihr Elternteil – also das Kind der verstorbenen Person – bereits vorverstorben ist.  

Beispiel: Die Erblasserin hatte zwei Kinder. Ein Kind ist bereits vorverstorben. Die Kinder des vorverstorbenen Kindes (hier: Enkelkind 2 und Enkelkind 3) repräsentieren das vorverstorbene Kind. Sie hätten nach der gesetzlichen Erbfolge je 25% des Nachlasses erhalten. Somit sind sie auch konkret pflichtteilsberechtigt. Das andere Kind (Kind 1) lebt noch. Dessen Sohn (Enkelkind 1) hätte nach der gesetzlichen Erbfolge nichts erhalten („Alt vor jung“). Somit ist Enkelkind 1 auch nicht pflichtteilsberechtigt.  

Ich bin pflichtteilsberechtigt – wie viel steht mir zu?

Die Höhe des Pflichtteils hängt vom gesetzlichen Erbrecht ab. Ist man pflichtteilsberechtigt, soll man zumindest die Hälfte der gesetzlichen Erbquote erhalten. Sie können sich hier über die gesetzliche Erbfolge informieren.

Beispiel: Der Erblasser hinterlässt eine Ehefrau und zwei Söhne. Da ein Testament vorhanden ist, kann es nicht zur gesetzlichen Erbfolge kommen. Die Hinterbliebenen sind schockiert, als sie erfahren, dass die Nachbarin (und heimliche Geliebte) des Erblassers das gesamte Vermögen erhalten soll. Von einer befreundeten Anwältin hören sie von ihrem Anspruch auf den Pflichtteil. Sie fragen sich, wie hoch ihr Pflichtteil ausfällt.  

AngehörigeAnspruch aus gesetzlicher Erbfolge (wenn kein Testament vorhanden wäre)Anspruch aus dem Pflichtteilsrecht
Sohn 1  1/3 der Verlassenschaft  50% der gesetzlichen Erbquote, somit 1/6
Sohn 21/3 der Verlassenschaft50% der gesetzlichen Erbquote, somit 1/6
Ehefrau1/3 der Verlassenschaft50% der gesetzlichen Erbquote, somit 1/6


Es zeigt sich, dass der Erblasser nur die Hälfte seines Vermögens an die Nachbarin vererben kann. Seine Söhne und seine Ehefrau haben einen Anspruch auf den gesetzlichen Pflichtteil, der jeweils 1/6 der Verlassenschaft beträgt.

Wie setze ich meinen Anspruch gegen die Erben durch?

Wichtig ist zunächst Folgendes: Sie haben keinen Anspruch auf bestimmte Gegenstände aus der Verlassenschaft. Pflichtteilsberechtigte haben nämlich eine bloße Geldforderung gegen die Erben.

Beispiel: Der Sohn des A wurde im Testament nicht bedacht. Stattdessen soll seine Schwester Alleinerbin sein. Er beruft sich auf seinen Pflichtteil und möchte auch eine Immobilie aus dem Vermögen seines Vaters bekommen. Das ist nicht möglich. Er hat eine bloße Forderung auf eine Summe Geld.

Der Anspruch muss binnen drei Jahren geltend gemacht werden. Die Frist beginnt, wenn die betroffene Person Kenntnis von allen Tatsachen hat, die für das Bestehen des Anspruches relevant sind (§ 1487a ABGB). Wird der Anspruch nicht innerhalb dieser Zeit geltend gemacht, tritt Verjährung ein.

Zudem gibt es eine absolute Verjährungsfrist von 30 Jahren. Diese gilt unabhängig davon, ob und wann man von dem Anspruch erfahren hat. Nach Ablauf dieser Frist kann der Pflichtteil in keinem Fall mehr durchgesetzt werden.

Außerdem kann der/die Erblasser:in im Testament eine Stundung des Pflichtteilsanspruches auf maximal fünf Jahre anordnen (§ 766 ABGB). Eine Stundung bedeutet, dass die Auszahlung des Pflichtteils nicht sofort erfolgen muss, sondern zeitlich hinausgeschoben wird. Die berechtigte Person erhält den Pflichtteil also später, nicht sofort nach dem Tod des/der Erblasser:in. In besonderen Fällen kann das Gericht die Stundung sogar auf bis zu zehn Jahre verlängern. Auch eine Zahlung in Teilbeträgen kommt in Betracht.

Kann mir auch der Pflichtteil entzogen werden?

Unter besonderen Umständen kommt auch eine Entziehung des Pflichtteils in Betracht. Dies nennt man Enterbung. Eine Enterbung erfolgt durch eine letztwillige Verfügung. Nachkommen und Ehepartner:in gehen dann gänzlich leer aus. Enterbungsgründe liegen bloß selten vor. Sie sind in § 770 ABGB genannt.

  1. Schwere vorsätzliche Straftat gegen den/die Verstorbene:n, die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht ist
  2. Schwere vorsätzliche Straftat gegen nahe Angehörige des/der Verstorbenen (z.B. Ehepartner:in, Kinder, Geschwister, Stiefkinder)
  3. Absichtliche Vereitelung des wahren letzten Willens, auch der Versuch (§ 540 ABGB),
  4. Verwerfliche Zufügung schweren seelischen Leids
  5. Gröbliche Vernachlässigung familienrechtlicher Pflichten
  6. Verurteilung zu lebenslanger oder 20-jähriger Freiheitsstrafe wegen vorsätzlicher Straftaten – unabhängig vom Opfer

Was ist die Pflichtteilsminderung?

Neben der Enterbung gibt es auch die Pflichtteilsminderung, geregelt in § 776 ABGB. Der Pflichtteil kann auf die Hälfte reduziert werden, wenn zwischen dem/der Verstorbenen und dem/der Pflichtteilsberechtigten kein familiäres Naheverhältnis bestanden hat – entweder nie oder über längere Zeit vor dem Tod.

Keine Kürzung erfolgt jedoch, wenn der/die Verstorbene grundlos den Kontakt gemieden oder selbst Anlass für die Distanz gegeben hat.

Die Pflichtteilsminderung muss – wie auch die Enterbung – ausdrücklich in der letztwilligen Verfügung angeordnet werden.

Kann ich auf den Pflichtteil verzichten?

Ja! Sie können auf Ihren Pflichtteil auch verzichten. Man unterscheidet zwischen Erbverzicht und Pflichtteilsverzicht.

  • Erbverzicht (§ 551 ABGB):
    Ein Erbe kann schon zu Lebzeiten auf sein gesetzliches Erbrecht verzichten. Dies erfolgt durch einen Vertrag in Form eines Notariatsaktes oder ein gerichtliches Protokoll. Dadurch verliert er auch das Pflichtteilsrecht. Ein späteres Testament kann ihn aber trotzdem noch bedenken. Der Verzicht gilt meist auch für seine Nachkommen.
  • Pflichtteilsverzicht (§ 758 ABGB):
    Pflichtteilsberechtigte können per Notariatsakt auf ihren Pflichtteil verzichten. Das ist in der Praxis oft wichtig. Auch dieser Verzicht gilt im Zweifel für die Nachkommen.

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